Sicher habt ihr das auch schon einmal erlebt: Ihr habt ein Stück fertig gestellt und tragt es zum ersten Mal. Irgendwann sprechen euch Leute darauf an und dann fällt der Satz „Oh, das ist handgemacht? Ja, das sieht man sofort.“ Für mich ist dieser Satz einer der wenigen, die mich in ein Allzeit-Hoch hieven können- oder meinen ganzen Stolz vollkommen zerschmettern. Aber warum kann die Hervorhebung des „Handmade“-Aspekts so unterschiedliche Reaktionen auslösen? Und was ist das Prädikat Handgemacht- Lob oder Beleidigung?

Als ich ein Kind war und meine ersten Bastelobjekte Form annahmen, war das höchste Lob für mich, dass man nicht sehen würde, dass es handgemacht sei, da es so gut aussieht. Auf der anderen Seite bekam der Fokus und das Herausstellen von „handgemacht“ einen negativen Beigeschmack. Bis heute bin ich nicht komplett frei von diesem Konstrukt.

Lob oder Beleidigung- ist es gut, wenn man erkennt, dass es sich um Handarbeit handelt?

Die Thematik kam vor kurzem auf, da ich bei Instagram auf ein Reel einer Mittelalter Darstellerin gestoßen bin. Sara Vidus ist Living History Darstellerin aus Italien und hat ein Reel zu ihrer Reaktion gemacht, als ihr jemand das „Kompliment“  machte, dass ihr Kleid richtig mittelalterlich aussähe und rustikal sei. In den Kommentaren zeigte sich, dass einige die Enttäuschung gar nicht nachvollziehen konnten. Viele Kommentare deuteten an, dass das herausstellen von „rustic“ oder „handmade“ ja nur positiv gemeint seien. Und, ehrlich, ich kann Sara voll verstehen. Zwischen „Oh Handgemacht, wow!“ und „Oh handgemacht, sieht man…“ liegen Welten.

Dieser Artikel spiegelt nur ein paar meiner Gedanken wieder. Es geht nicht um eine allgemeingültige Sichtweise. Wenn ihr andere Gedanken oder Meinungen zu dem Thema habt, lasst mir gerne einen Kommentar da.

Konsum als Marketingerfolg- wie handgemachtes zu Ware zweiter Klasse wurde

Handgemacht war lange die einzige Art, Güter zu Produzieren- irgendjemand investierte Know-How und Fingerspitzengefühl um ein Produkt zu erschaffen. Egal ob man zuhause etwas herstellte oder einkaufte, alles war von Hand hergestellt. Erst mit zunehmendem technischen Fortschritt kamen Produkte aus maschineller Herstellung auf den Markt. Diese waren zunächst zwar etwas besonderes, aber meist günstiger und so breiter verfügbar.

Nach den Weltkriegen und der Armut die diesen folgte, war die Rückkehr zu selbstgemachten Produkten mehr eine Notwenigkeit um mit den verfügbaren Ressourcen hauszuhalten. Es ging nicht um Qualität oder Individualismus, sondern um Überleben.

Nach einigen mageren Nachkriegsjahren kam der Wirtschaftsaufschwung. Neue Herstellungsverfahren, eine bessere finanzielle Situation und ein sehr umfassendes Marketing trugen dazu bei, dass maschinell produzierte Massenprodukte ein Zeichen für Wohlstand und Fortschritt wurden- wer jetzt noch Socken stopfte oder seine Kleidung selbst nähte, musste ja quasi Arm sein- oder keinen Zugang zu den „tollen“ neuen Innovationen der Wirtschaft haben.

Handgemachtes bekam das Image der Armut. Einzig im Rahmen einer Profession war handgemacht noch ein Synonym für Luxus. Wie sehr sich das bis auch in die Gegenwart zieht, zeigt auch ein Artikel in der Brigitte (ich hatte hier mal darüber geschrieben)vor einigen Jahren, indem ein „Häkeldiplom“ gefordert wurde, weil die ganzen DIY Tanten ja nur stümpernd vor sich hin pfuschen würden. Und diese Sicht ist weit verbreitet. Professionell hergestelltes (per Hand oder Maschine) ist Goldstandart, DIY und selbstgemacht eher nett bis Pfusch.

Handmade als Lob gemeint

Die Renaissance des Handgemachten

Seit einiger Zeit wendet sich das Blatt wieder zugunsten der Handarbeit. Inzwischen ist „handmade“ ein Gegenentwurf zu gekauften und in Massen hergestellten Produkten. Plattformen wie DaWanda oder Etsy haben handgemachtes neu in den Fokus gerückt.

Handmade-Märkte und Selbermachen ist spätestens seit den 2010ern ganz groß im Trend. Das Bild wandelt sich. Handgemachtes wird immer mehr zum Luxus erklärt. Die Kunstfertigkeit, die Möglichkeit zu individualisieren und auch der Aspekt der Nachhaltigkeit rückten in den Fokus. Im gleichen Zug haben Massenproduzierte Güter deutlich an Glanz verloren. Spätestens seit der Ultra-Fast Fashion Tendenz hinterfragen Menschen die Qualität etwas mehr.  Aber auch wenn wir uns in der Renaissance der Handmade-Bewegung befinden, so ganz ist der Zauber des Konsums nicht verschwunden.

Handgemacht- Lob oder Beleidigung? Was denn nun?

Aber trotz dieser tollen und wichtigen Bewegung (von der ich ja irgendwie auch Teil bin), bin ich nicht frei von dem Konstrukt in meinem Kopf, dass Handarbeit, die nach Handarbeit aussieht, kein Ausdruck von Qualität ist, sondern eher das Gegenteil. Wenn man sieht, dass etwas handgemacht ist, bekomme ich immer noch das Gefühl, es ist nicht gut genug, es sieht nicht professionell aus. Besonders stark und fast ausschließlich habe ich das im Bezug auf meine eigenen Kreationen.

Mit verantwortlich ist sicher auch, dass ich schon als Kind von meiner wundervollen Oma geprägt wurde, die genau diese Nachkriegsjahre und auch den Konsumboom miterlebt hat und die Möglichkeiten der seriellen Produktion in vollen Zügen und in vielen Bereichen genossen hat. Selbst hergestelltes hingegen assoziierte sie oft mit Not, Umständen und Entbehrungen- oder zumindest überdurchschnittlich viel Aufwand für wenig „Erfolg“. Und sie ist längst nicht alleine mit dieser Sicht, das allein beweist schon der Zeitungsartikel, von dem ich weiter oben schon schrieb.

Auf den die Handgemachte Optik angesprochen bekomme ich oft das Gefühl gemeint sei, dass es nicht gleichmäßig genug, makellos genug sei- eben ein bisschen grob gearbeitet. Außer die Äußerung steht in Verbindung mit deutlich gezeigter Wertschätzung oder Überraschung, was aber wieder auf das „es sieht aus wie maschinell/professionell hergestellt“ abzielt.

Hinzu kommt, dass „kaufen“ immer noch in vielen Kontexten als bessere Option vorgeschlagen wird. Sicher habt ihr auch schonmal die Frage bekommen, warum ihr nicht einfach Kleidungsstück xy kauft? Wäre ja günstiger/schneller/genau so gut/hübscher…-die Ergänzungsmöglichkeiten sind quasi endlos.

Prädikat Handgemacht-Lob oder Beleidigung?

Und so wohnt in meinem Kopf noch immer der Gedanke, dass wenn man sieht, dass es handgemacht ist, dann ist das nicht gut. Und das obwohl ich es besser weiß.

Könnt ihr meinen Zwiespalt nachvollziehen und wie geht es euch was ist das Label Handgemacht- Lob oder Beleidigung? Oder sogar beides?

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