Wir alle kennen sie, wir alle haben sie schon mal gehört – Mythen über Wolle und Handarbeiten. Aber welche Mythen, Vorurteile und Annahmen sind eigentlich richtig, und was steckt hinter ihnen? Heute gehe ich der Frage nach: Ist Wolle nur für den Winter geeignet? Und auch wenn ihr euch vielleicht die Antwort schon denken könnt, schaue ich mal, woher diese Annahme kommt und warum sie sich bis heute hält.

MythBuster-Titelbild- Ist wolle nur für den Winter geeigent- ein Stabel Tweed-Wollgarne in Herbstfarben

Nachdem ich so viele Artikel über Wolle und Wollfasern geschrieben habe, dass es mir echt schwerfällt, noch Themen zu finden, die ich noch nicht abgedeckt habe, dachte ich, versuche ich mal etwas Neues. Das war die Geburtsstunde dieser kleinen, neuen Artikelserie. Serie deswegen, weil ich gleich schon ein paar Beiträge vorab geschrieben habe und sie nun nach und nach veröffentliche – es gibt also gesicherten Beitrags-Nachschub für diesen Blog 😉

Der Mythos: Ist Wolle nur für den Winter geeignet?

Das war und ist eines der Vorurteile, die ich bis heute noch ziemlich oft zu hören bekomme. Aber was ist dran am Mythos, und wie wahr ist er?

Eines vorab: Wenn ich im Kontext dieses Beitrags von Wolle spreche, meine ich damit die tierische Faser von Schafen, Alpakas usw. Die Unterscheidung ist deswegen so wichtig, da es Garne aus Baumwolle und weiteren Fasern gibt, die andere Eigenschaften aufweisen als die, die der Wolle zugeschrieben werden.

Maximal wäre bei diesen Materialien die Frage: Ist Stricken und Häkeln nur ein Hobby für den Winter? Aber hey, wir sind hier auf einem Häkel- und Strickblog. Natürlich ist Handarbeit ein Ganzjahres-Hobby.

Wolle im Regal

Textil-Geschichte – ein nerdiger Exkurs in historische Kleidung

Lange bevor Wollgarne genutzt wurden, um schicke Norweger-Pullover zu fertigen und kuschelige Decken zu häkeln, waren Wollfasern ein elementarer Teil der Kleidung. Im zentraleuropäischen Mittelalter bestand die Alltagskleidung aus einer Unterwäscheschicht aus Leinen (lässt sich super waschen und bleichen) und mindestens einer Schicht aus Wollstoff. Wer es sich so richtig leisten konnte, hatte noch Seidentextilien zur Hand, das war aber eher selten anzutreffen. Daher vernachlässige ich das mal in diesem Beitrag.

Aber ob Sommer oder Winter, Wolle war der dominierende Stoff für Oberbekleidung – und das für eine recht lange Zeit in der Geschichte. Baumwolle war lange nicht verfügbar, und Leinen war für Unterwäsche bestimmt. Da sich Leinenfasern auch nicht gut mit pflanzlichen Farbstoffen färben lassen, war es weder schicklich noch schick, ungefärbtes Leinen als äußerste Schicht zu tragen (im mittelalterlichen Kontext – in der Industrialisierung/Neuzeit usw. gelten andere Regeln). Vergleichbar wäre das mit dem Feinripp-Unterhemd über dem Feinripp-Unterhemd, um zum Einkaufen oder ins Geschäftsmeeting zu gehen – nicht die erste Outfitwahl für die meisten von uns.

Auch wenn die Temperaturen vor knapp 800 Jahren etwas anders waren, waren die Sommer warm – und trotzdem trugen die Menschen Kleidung aus Wolle. Das liegt aber nicht daran, dass die Menschen hitzeresistenter waren, sondern daran, dass Wolle tatsächlich nicht immer knallwarm sein muss.

Temperatur und Wolle – Winterfaser oder Alljahres-Stoff?

Wolle ist als Material eine echte Zauberfaser. Nicht nur kann sie erstaunlich viel Wasser aufnehmen, ohne sich nass anzufühlen, und ist als Textil antibakteriell – was bedeutet, Bakterien, die sonst für üble Gerüche zuständig sind, können sich nicht vermehren – sie ist auch temperaturausgleichend. Die Fähigkeit variiert je nach Fasertyp, aber das bedeutet eben auch: Selbst wenn es Wollfasern gibt, die superwarm halten, so gibt es auch Fasern, die besonders temperaturausgleichend sind. Als Beispiel wird hier oft Merinowolle angeführt.

Durch diese Vielfalt an Fasertypen und das Spektrum an Wärmeleitfähigkeit ergibt sich, dass Wolle längst kein Material ausschließlich für den Winter ist. Vielmehr entscheiden die Eigenschaften der Fasern und auch Faktoren wie die Dicke und Dichte des gefertigten Gewebes darüber, ob das Kleidungsstück aus Wolle nun ein Winterkleidungsstück ist oder eines, das auch bei warmen Temperaturen angenehm zu tragen ist.

Ist Wolle nur für den Winter geeignet- ein Stapel Tweed-Wolle in verschiedenen Farben

Busted! Wolle ist NICHT nur ein Material für den Winter

Der Mythos, dass Wolle nur für den Winter geeignet sei, ist falsch. Nimmt man die richtigen Fasern und die richtige Dicke und Dichte des Materials, kann man durchaus auch Kleidungsstücke für warme Temperaturen herstellen und tragen, ohne innerlich zu kochen – und das wird und wurde auch so praktiziert.

Klar, bei über 30 Grad ist jedes Gramm Kleidung zu viel, und es gibt sicher Materialien, die mit aktiv kühlenden Eigenschaften die bessere Wahl sein können (beispielsweise Leinen-Garne), aber Wolle ist definitiv eine Alljahres-Faser.

Woher kommt der Mythos? Und warum hält er sich so eisern?

Ein Grund, warum Wolle gerne als Winterfaser wahrgenommen wird, ist, dass sie heute vorrangig in Form von Herbst- und Winteraccessoires wie Schals, Mützen, Handschuhen und dicken, kuscheligen Socken Verwendung findet. Versucht mal, im Sommer einen Wollpullover oder Wollstoffe zu bekommen. Ab Herbst sind Läden und Online-Stores davon überschwemmt. Das verstärkt die Wahrnehmung von Wolle als Winterfaser. Auch findet ihr selten wirklich dünne Wollstoffe (sofern ihr nicht in einschlägigen Shops schaut, die sich an Living-History-Menschen und Reenactors wenden). Auch dass Wolle gerne als „natürlich wärmende Faser“ vermarktet wird, gibt dem Mythos immer weiter Futter und hält ihn am Leben.

Fazit

Wolle ist kein Material nur für den Winter. Ja, Wolle hat Eigenschaften, die diese Naturfaser besonders gut geeignet für kalte Temperaturen machen. Aber eben nicht nur. Dünne Wolltextilien sind auch nicht unangenehmer als andere Kleidungsstücke im Sommer (und ab einem bestimmten Punkt ist eh alles unangenehm).

Dass wir heute Wolle vorrangig mit kalten Temperaturen verbinden, liegt am guten Marketing der Modeindustrie, die zu jeder Herbstsaison Strick- und Wollkleidung auf den Markt schwemmt und damit diese Verbindung verstärkt.

Wie ist es bei euch, tragt ihr auch im Sommer Wollkleidung?

Warme kuschelige Wolle in verschiedenen Herbstfarben

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert